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Ein Plädoyer für den Stuhlkreis

Kerstin König • März 31, 2023

Gruppendynamik als Kommunikationsformat 

Manchmal höre ich so ein Getuschel, wenn die ersten Teilnehmer den Seminarraum betreten. Oft ist das Getuschel gerade laut genug, so dass ich Bemerkungen hören kann wie: „Sind wir hier in einem Therapiekreis?“ oder „Oh Mann ich habe mich einfach auf eine gemütliche Schulung gefreut…“ oder „Wie soll man denn da mitschreiben und die Kaffeetasse abstellen?“ oder „Müssen wir jetzt gleich alle unseren Namen tanzen?“ 


Inzwischen freue ich mich über solche Rückmeldungen, weil sie mir gleich zu Beginn die Möglichkeit bieten, Kontakt aufzunehmen. Gemeinsam den Bedürfnissen auf die Spur zu kommen, die sich durch Sätze wie diese Platz machen. So können wir gleich für Klarheit und Entspannung sorgen. 


Mitgestalten ist wichtiger als Mitschreiben 


Nein, wir tanzen keine Namen und nein, ich mache auch keine Schulungen. Bei mir gestalten und arbeiten alle aktiv mit, die Lust dazu haben. Mitmachen ist wichtiger als Mitschreiben. Und die Sache mit der Kaffeetasse lösen wir durch einen zweiten Stuhl oder Hocker pro Person. 


Der Stuhlkreis. Irgendwie scheint das Wort negativ belegt zu sein. Fast so schlimm wie Rollenspiele. Selbst ich kriege ein bisschen Gänsehaut, wenn ich mir das Wort auf der Zunge zergehen lasse. Das hat er wirklich nicht verdient. Der Stuhlkreis. 

Hier also mein Plädoyer für diese Arbeitsform: 


Gruppendynamik als Kommunikationsformat 


Er geht in meinen Seminaren um Kommunikation, Beziehungen und Verständigung. Meiner Meinung muss man das erleben, um es zu verstehen und verinnerlichen. Im Kreis geht das prima.  Wenn alle im Kreis sitzen, steht nichts zwischen uns. Das ist vielleicht schon herausfordernd: wie geht man denn dann mit dem leeren Raum zwischen den Menschen um? 


Der leere Raum bietet Raum für Begegnung


Ich mache keine Schulungen, d. h. das Modell „die Musik spielt vorne, alle anderen lauschen in Tischreihen“ passt für mich nicht. Das passt zu einer auf Autorität ausgerichteten Kultur. 

Der Stuhlkreis hingegen zeigt an, dass alle Teilnehmenden gleichberechtigt mitwirken können und das Face-to-Face-Kommunikation gewünscht ist. Und Bewegung. Mal aufstehen, rumgehen, im Raum bewegen, zu zweit, zu dritt, alleine und dann wieder alle zusammen. Auch der Blick und die Aufmerksamkeit bewegen sich. Es ist der leere Raum, der Raum für Begegnung bietet. 


Genau: der Stuhlkreis deutet auch darauf hin, dass es nicht nur um sachlich-rationale Themen gehen wird, sondern auch um persönlich-emotionale Fragen. 


Wenn der Stuhlkreis zur gemütlichen Runde wird 


Der ursprünglich ordentlich mit regelmäßigen Abständen aufgestellte Stuhlkreis bewegt sich mit, bis er kaum noch als Kreis zu erkennen ist. Was bleibt ist der Fokus und die Ausrichtung auf die Kommunikation und die Beziehung untereinander. Die Stühle tragen Jacken, Blöcke, Tassen und wechselnde Personen. Der Stuhlkreis wird zur Runde. „Komm wir gehen zurück in die Runde“ heisst es dann oft schon nach der ersten Kaffeepause. Ich habe auch schon erlebt, dass die komplette Gruppe in der Pause irgendwo im Kreis gestanden hat und ohne mich weiter gemacht mit dem Austausch. Von dem anfänglichen Unbehagen ist i. d. R. schnell gar nichts mehr zu spüren und erst recht nicht zu hören. 


Ich freue mich jedenfalls, dass die Runde mehr und mehr zur selbstverständlichen Arbeitsform heran wächst.   


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